Naturphilosophische Abendführung, Rudolf Kötter
Datum: 25. Juni 2025Zeit: 17:00 – 18:30Ort: Freiland des Botanischen Gartens
Veranstaltungshinweis
Naturphilosophische Abendführung
Führung mit Dr. Rudolf Kötter,
Kompetenzzentrum für interdisziplinäre Wissenschaftsreflexion FAU ZIWIS
Mittwoch, 25. Juni 2025, 17:00 Uhr
Treffpunkt: Eingang zu den Gewächshäusern
Wer durch einen Botanischen Garten spaziert, der sieht eine ungewohnte Fülle von Blumen, Sträuchern und Gräsern, die in Gruppen nach einem gärtnerischen Prinzip angepflanzt wurden. Es ist gerade die bunte Vielfalt, deren Wahrnehmung angenehme Empfindungen auslöst, aber Sehen und Wahrnehmen heißt nicht Erkennen und deshalb drängt sich immer wieder die Frage auf, was das wohl sei, was man da sieht. Als Antwort auf die Frage wird ein Name erwartet und dies zurecht, denn erst durch einen Namen wird ein Individuum aus seiner Umwelt hervorgehoben und Teil unserer Vorstellungswelt. Wir gliedern die Welt durch unsere Sprache und schaffen damit zugleich eine elementare Ordnung. Das wird im Botanischen Garten deutlich: Vor den Pflanzen steht ein Namensschildchen und dieses erfüllt eine doppelte Funktion. Es benennt das Individuum und gibt zugleich an, welcher Gruppe das Individuum zugehört. Seit der Antike – ich erwähne hier nur den Namen Aristoteles – haben sich zwei Vorstellungen von der Ordnung der Natur entwickelt und bis auf den heutigen Tag erhalten. Die eine Vorstellung setzt bei den Phänomenen an, also bei dem, was wir sehen und in diesem Sinne unmittelbar erfahren. Die Ordnung der Phänomene – in unserem Fall die Ordnung der Pflanzen - muss so sein, dass ein Wiedererkennen des Gleichen und eine Zusammenfassung des Ähnlichen möglich wird. Wie das in formaler Hinsicht zu geschehen hat, wie also Klassen gebildet und voneinander getrennt werden, das hat Aristoteles gezeigt. Mit diesem Werkzeug konnte man sich an die Arbeit machen und die Pflanzenwelt einteilen.
Allerdings blieben die Ordnungskriterien (Form, Farbe, Nützlichkeit) dazu lange Zeit willkürlich und die zugehörigen Ordnungssysteme hinterließen deshalb einen unbefriedigenden Eindruck. Und da kommt die zweite Vorstellung ins Spiel, die auf eine Ordnung verweist, die hinter den Phänomenen steckt, an diesen selbst nicht unmittelbar abzulesen ist und die man mit dem Begriff „Naturgesetz“ verbindet: Das, was wir sehen, ist sinnbildlicher Ausdruck einer in der Natur versteckten naturgesetzlichen Ordnung. Daraus ergibt sich eine fundamental wichtige Forderung: Das „richtige“ Ordnungssystem für die phänomenale Natur, in unserem Falle eben für die Pflanzenwelt, muss im Einklang stehen mit der naturgesetzlichen Ordnung. Die Suche nach einem solchen „natürlichen“ Ordnungssystem beherrschte die Geschichte der neuzeitlichen Botanik, sie stellte sich zugleich aber auch als recht schwierig da. Während man für die physikalische Welt mit Newtons Mechanik glauben durfte, zumindest einige wesentliche Naturgesetze gefunden zu haben, fand sich für die Biologie kein „Newton des Grashalms“, wie Immanuel Kant das ausdrückte.
Ein durchschlagender Erfolg kam erst mit Carl von Linné. Für ihn als gläubigen Christen lag nämlich das „Naturgesetz“ des Lebens in der göttlichen Weisung, sich fortzupflanzen und zu vermehren. Deshalb musste ein „natürliches“ Ordnungssystem der Pflanzen an den Organen ansetzen, die es ermöglichen, der göttlichen Weisung zu folgen – also insbesondere an den Blüten. Das Pflanzenreich wurde durch ihn in seinen wesentlichen Teilen nach Bau und Funktion der Blüten geordnet – ein Gedanke, dem wir bis heute folgen, auch wenn wir die naturtheologische Prämisse inzwischen durch eine säkulare, evolutionsbiologische Prämisse ersetzt haben: Die Ähnlichkeit der Pflanzen richtet sich nach ihrer Gestalt (Morphologie), die Verwandtschaft nach den evolutionsgeschichtlichen Prozessen, die aus tiefer Vergangenheit zu dem heutigen Erscheinungsbild geführt haben. Wenn Sie also gleich durch den botanischen Garten spazieren und die Namen der Arten sehen oder gesagt bekommen, dann denken Sie bitte daran, dass damit nicht nur mitgeteilt wird, wem das Pflänzchen, vor dem Sie stehen, ähnlich ist, sondern auch, dass es jüngster Repräsentant einer langen Evolutionsgeschichte ist, durch welche es sich mit all den anderen Pflanzen in Garten als mehr oder weniger verwandt erweist.
Text: Dr. Rudolf Kötter
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Freiland des Botanischen Gartens